LinkedIn hat sich in den vergangenen zwei Jahren stark verändert. Immer mehr Beiträge tauchen mit dem gleichen Muster auf. Ein Porträt-Foto oder ein anderes Bildformat mit einem stark in Szene gestellten Mensch wird gepostet. Darauf zu sehen posierende Männer und Frauen, schwangere Frauen, Menschen in lustigen Situationen, Menschen beim Nachdenken oder einfach nur Situationen aus dem Berufsleben. Dazu eine knackige Einleitung, schnell ein- bis zweimal auf Enter geklickt, damit die Nutzer:innen auf „Mehr anzeigen“ klicken müssen, was die Reichweite von Beiträgen durch den LinkedIn-Algorithmus erweitert und dann die große Wende in dem Text.
6 Beispiele für inhaltslose und virale LinkedIn-Beiträge
- Ich gründete mein Business und bekam danach sofort zwei Kinder
- Früher hätte ich mich diesen Schritt nie getraut
- 10.000 neue Kontakte mit nur einem Post und diesem kleinen Trick
- Sie fragten mich, wie konntest du als Student so schnell wachsen?
- Diese Frage in meinem Bewerbungsgespräch haute mich um
- Das ist der Grund, warum dein Online-Marketing nicht funktioniert
Sorgenfreie Vorzeigeunternehmerin mit Kindern und Millionenbusiness
Hier keinem dieser Texte wirst du die tolle Antwort finden. Die zweifache Mutter regelt ganz allein, stressfrei, sorgenfrei und problemlos ihr Business und skaliert es mal eben auf einen Millionenumsatz. Der Unterschied zwischen Umsatz und Gewinn ist bei LinkedIn übrigens eine zu vernachlässigbare Wissenslücke bei vielen Nutzer:innen.
Jemand stellt seinen ersten Teilzeit-Mitarbeiter ein
Früher hatte sich der Unternehmer nie getraut einen Mitarbeiter einzustellen, damit dieser Kaltakquise am Telefon für ihn macht. Nur 5 Stunden pro Woche, bei angemessener Bezahlung. Dieser Mut begeistert die Massen, es hagelt Lobeshymnen und dieser mutige Unternehmer dient als Vorbild aller Soloselbstständigen.
Der König der Quantität lebt auf LinkedIn
Jemand hat 10.000 neue Kontakte mit nur einem Beitrag auf LinkedIn bekommen, aber er erzählt uns nicht, ob er nur noch mehr High-Price-Closer angezogen hat oder auch nur einen Cent an Umsatz gemacht hat. Mit Quantität kannst du bei LinkedIn problemlos Komplimente fischen, denn die Kommentare sind alle so positiv, egal welchen offensichtlichen, inhaltsleeren und ausgedachten Unsinn du schreibst.
Weltreise-Auszeit eines Studenten löst Euphorie aus
Der Student wuchs aus sich heraus, weil er sich ein Semester an Auszeit nahm, um die Welt zu bereisen. Er nahm sich eine sechsmonatige Auszeit, um an den neuen Herausforderungen in fremden Ländern zu wachsen. Die LinkedIn-Community ist begeistert, möchte auch dringend das Hamsterrad verlassen und beneidet den 21-jährigen Studenten, der mit dem Taschengeld seiner Eltern um die Welt reist.
„Wo sehen Sie sich in 5 Jahren?“ ist der Gamechanger
Die Frage aus dem Bewerbungsgespräch behandelte meine Ziele in den nächsten fünf Jahren, denn hier wurde auf den Klassiker „Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?“ ausgepackt. Die wohl innovativste Frage aus dem Bewerbungsgespräch erntet aber nicht Hohn und Spott, weil alle gelangweilt und enttäuscht von dem Clickbaiting-Text sind, sondern die Menge jubelt. Da sagte sie doch glatt, sie sähe sich in einer 3-Tage-Woche im Homeoffice bei ihrer Familie.
Wer hätte gedacht, dass Eigenmarketing für Unternehmen wichtig ist
Das Online-Marketing funktioniert nicht, weil du keinen Fokus auf das Eigenmarketing setzt, sondern immer nur den Neukunden nachläufst. Dieser supernagelneue Tipp löst kein Gähnen aus, sondern erneut erntet er Dankbarkeit und erhellt die Menschen auf LinkedIn.
Woher kommt diese Lobhudelei auf LinkedIn?
Netzwerke sind der Grund für diesen Aufbau von Scheinwelten, denn es gibt große Netzwerke unter LinkedIn-Nutzer:innen, die untereinander vereinbart haben, einander mit positiven Interaktionen mehr Reichweite zu verschaffen. So etwas gibt es auch auf allen anderen Social-Media-Plattformen, aber bei LinkedIn ist es ganz besonders auffällig.
Je mehr begeisterte und positive Kommentare ein Beitrag erntet, desto weniger kritische Kommentare werden auftauchen, weil sich einzelne Nutzer:innen in der Minderheit empfinden und sich den Kommentar besser sparen, um nicht gegen den Gegenwind ankämpfen zu müssen. Wenn Du häufig bei LinkedIn unterwegs bist, dann wird dir das auffallen. LinkedIn ist großzügig mit seiner organischen Reichweite, denn wir sehen die Beiträge von Zweit- und Dritt-Kontakten in unserem Feed.
Sprich, du bist mit mir vernetzt und mit einem Freund, aber der Freund nicht mit mir. Du kommentierst nun einen Beitrag deines Freundes und ich sehe dann diesen Beitrag mit der Anmerkung deines Kommentars auch auf meinem Feed.
Wenn sich jetzt 20 oder mehr Kontakte zusammenschließen, dann verknüpfen diese gegenseitigen Interaktionen alle 20 Netzwerke der Teilnehmer:innen an diesem Netzwerk und erhöhen sich dadurch gegenseitig die Reichweite. Der König oder die Königin dieser Netzwerke sind dann Quantitätsmeister:innen.
Lass Dich nicht von LinkedIn blenden!
Die zweifache Mutter wird auch von ihren Kindern angeschrien, angepinkelt und bekommt keinen Schlaf. Sie findet Zeit für das eine tolle Foto, weil ihr Mann oder die Großeltern die Kinder hüten oder diese bereits in der Betreuung sind. Der Reisende kehrt zurück in sein Studium, macht unbezahlte Praktika und wird sich am Ende über LinkedIn bewerben.
Diese auf LinkedIn angeblich perfekte Leben sind Teil einer immer größer werden Social-Media-Scheinwelt, die jetzt auch LinkedIn überrollt. Ich bin schon als Copywriter und Ghostwriter angeschrieben worden, um mit genau diesen Beiträgen das Profil eines Kunden bekannter zu machen, damit dieser sein Unternehmen für mehr Geld verkaufen kann.
Konzentriere dich auf Dich, lasse dich gerne inspirieren, aber das Internet ist voller Täuschungen, Lügen und platzt vor Schein. Mehr über Corporate Influencer auf LinkedIn kannst du hier nachlesen.