Ernst schaut er in die Kamera, hebt die Hände – und spricht den ersten Satz des Videos:
„Ja, es ist wieder Zeit für so ein Video.“
Und dann legt er los: Fakten über Fakten, untermauert mit so vielen Quellen, dass es Stunden dauern würde, die alle nachzuprüfen. In diesen Videos setzt er sich kritisch mit Politik und Medien auseinander und wirkt ob der Beweislast für die Unzulänglichkeiten in den beiden Bereichen selbst ratlos, teilweise wütend, enttäuscht oder einfach fassungslos.
Vielleicht hast du es schon erkannt. Die Rede ist von Rezo – ein YouTube-Star, der durch die Produktion hochwertiger Musikvideos groß geworden ist und sich gesellschaftlich relevanten Themen zugewendet hat. Gleichzeitig findet man auf seinem Kanal aber auch Witz, Spaß, Reaction-Videos und Twitch-Mitschnitte, in denen Rezo oft mit anderen Stars der Szene über die unterschiedlichsten Themen streamt.
Interesse der Politiker:innen und Medienschaffenden an Rezo
Wenn du von Rezo noch nichts gehört haben solltest, fragst du dich vielleicht: Interessieren sich Politik und Medien überhaupt für das, was ein Influencer im Internet so von sich gibt?
Wenn dieser jemand eine große Reichweite hat und diese nutzt, um Skandale zu recherchieren, zusammenzutragen und als Video für eine Zielgruppe aufzubereiten, die relevant für die nächste Wahl ist, dann hat er die Aufmerksamkeit der Medien sicher.
Viewer-Zahlen der „Zerstörungs-Videos“
Einmal zur Einschätzung, wie viele Views die sogenannten „Zerstörungs-Videos“ (Stand 29.12.2021) verzeichnen:
- 18.05.2019: „Die Zerstörung der CDU.“ – 19,4 Millionen (auf Rezo ja lol ey)
- 21.08.2021: „Zerstörung Teil 1: Inkompetenz“ – 6 Millionen (auf Renzo)
- 04.09.2021: „Zerstörung Teil 2: Klima-Katastrophe“ – rund 4,5 Millionen (auf Renzo)
- 18.09.2021: „Zerstörung FINALE: Korruption“ – rund 3,6 Millionen (auf Renzo)
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Zum Vergleich: Die „Tagesschau“ erreichte am 15.03.2021 insgesamt 17,4 Millionen Zuschauer:innen. „Die Zerstörung der CDU“ ist also fast gleich auf – und in Anbetracht der Tatsache, dass die Tagesschau seit 1952 täglich über die aktuellen Geschehnisse berichtet und als eines der angesehensten Formate gilt, ist der Erfolg von Rezos Politik-Videos beeindruckend.
Im ersten Moment scheint die Wortwahl „Zerstörung“ hart – beim Ansehen der Videos wird aber deutlich: Die Fakten, die der Youtuber hier zusammengetragen hat, sind keine Neuheiten. Es sind Skandale, Lügereien, nicht eingehaltene Zusagen an die deutsche Bevölkerung, Korruptionsfälle und Verfälschen der Wissenschaft, die tatsächlich geschehen sind und über die von etablierten Medien berichtet wurden – so in einem Video zusammengefasst und mit unzähligen Quellen untermauert, ist die Beweislast gegen die Politiker:innen und Parteien tatsächlich das: zerstörend.
Reaktionen der Politiker:innen
Auf dem Kanal „TJ – Tim Jacken“ reagiert TJ, ebenfalls Youtuber und Influencer, auf ein Interview, in denen Mitglieder der CSU und CDU mit den Zerstörungs-Videos konfrontiert werden. Das Original-Interview ist leider nicht mehr verfügbar; solltest du den Ausschnitt sehen wollen, kannst du hier TJs Reaktionsvideo ansehen. Außerdem gibt es einen Stream-Mitschnitt, in dem Rezo sich mit den Reaktionen aus der Politik zu seinen Videos auseinandersetzt: „Das waren die REAKTIONEN auf meine Zerstörungsvideos“.
Laschet verneint in einem Interview die Frage, ob er das Video gesehen habe. Auf Nachfragen, weshalb, sagt er: „Ich hab die Thesen gelesen, die er hat, die sind wie immer falsch, und Stück für Stück kann man denen dann widersprechen und erklären, warum er nicht richtig liegt.“
Die Sache ist: Die „Thesen“, die Rezo aufstellt, sind mit hochwertigen Quellen belegte Ereignisse. Außerdem findet sich nirgendwo im Netz eine Person, die eine ähnlich hochwertig recherchierte Gegenargumentation zugunsten der CDU/CSU aufstellt. Nicht einmal die Politiker:innen selbst.
In einem anderen Interview von Andi Scheuer mit Frau Maischberger sagt Andi Scheuer: „Also, ehrlich gesagt […] ich nehm‘ den nicht mehr ernst. Wissen sie, der, der Rezo, der kennt mich einfach nicht, und dann soll er’s einfach bleiben lassen.“
Vielleicht legst du gerade irritiert die Stirn in Falten. Zurecht, denn: Wenn du die Zerstörungs-Videos gesehen hast, dann fällt dir sicher auf, wie unterschiedlich die Argumentationsstrukturen der beiden Politiker und Rezo sind: Während Rezo eine fundierte Argumentation aufgebaut hat, Quellen liefert und so viel Informationen wie möglich gibt, machen die beiden Herren nur eines: sie diffamieren die Arbeit Rezos und seines Teams, ohne wirklich auf die Punkte der Videos einzugehen.
Auswirkungen der Rezo-Videos auf vergangene und künftige Wahlen
Das erste Zerstörungs-Video des Youtubers Rezo erschien kurz vor der Europawahl 2019. Am 18. Mai veröffentlicht, wurde es bis zum 17. Juni 2019 mehr als 15 Millionen Mal geschaut (Quelle). Tatsächlich gingen die Stimmen für die CDU und SPD nach Veröffentlichung des Videos, das vor allem mit der Politik der CDU/CSU ins Gericht geht, drastisch nach unten. Dieser Rückgang an Stimmen für die zwei stärksten Parteien Deutschlands erhielt einen eigenen Namen: der Rezo-Effekt.
Rezo-Effekt auf die Wahl – Hirngespinst oder Realität?
Die Medienpsychologin Sabine Haas hat sich mit dem Rezo-Effekt auseinandergesetzt und einen ganzen Artikel zu ihren Beobachtungen geschrieben. Darin schreibt sie unter anderem: „[…] er hält allen den Spiegel vor, die [den] politischen Alltag schon lange – wenn auch unter beständigem Meckern – akzeptiert und als »normal« angenommen haben.“
Das heißt im Umkehrschluss auch: Er hat Menschen aus ihrer Lethargie des „meine Stimme zählt ohnehin nichts“ aufgerüttelt und sie dazu bewogen, eben nicht alles hinzunehmen, sondern ihre Stimme zu nutzen und bewusst zu wählen, statt zu wählen, was immer gewählt wurde. Und ganz offensichtlich zeigt das Wirkung – im Stimmenrückgang in der Europawahl 2019, aber auch im Wahldesaster für die CDU in der Bundestagswahl 2021.
Langfristige Auswirkungen des Rezo-Effekts
Rezos Zielgruppe sind eigentlich eher junge Menschen – also bis ca. 30. Gerade die Politik-Videos haben zwar auch eine ältere Bevölkerungsgruppe erreicht, aber die Auswirkungen der Videos und der Recherchearbeit wird vermutlich erst in der nächsten Bundestagswahl endgültig sichtbar, wenn Zuschauer:innen, die bisher nicht wählen durften, die Volljährigkeit und damit Wahlbeteiligung erlangen. Es bleibt also spannend, wie es weitergeht – eines ist aber sicher: Der YouTube-Star hat die Politik mächtig aufgemischt, und es gibt bisher keine Anzeichen dafür, dass er damit aufhört. Zum Leidwesen der Politik – aber zum Wohl von dir, mir und dem Rest der Bevölkerung.